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Ein für die deutsche Wasserwirtschaft neuer Ansatz ist die
von der Wasserrahmenrichtlinie geforderte ganzheitliche typspezifische
Bewertung der Oberflächengewässer. Dieser Ansatz berücksichtigt die
Tatsache, dass nicht nur natürliche Unterschiede zwischen den
Gewässerkategorien, den Standgewässern, den Fließgewässern und den
Küstengewässern, bestehen, sondern dass sich auch Gewässer ein und derselben
Kategorie unterscheiden. Bei Fließgewässern führen z. B. Unterschiede in der
Substratbeschaffenheit, der Fließgeschwindigkeit und den physikochemischen
Eigenschaften wie der Temperatur, dem pH-Wert, der Leitfähigkeit usw. zur
Ausbildung unterschiedlicher Lebensgemeinschaften der Gewässerorganismen (Biozönosen).
Die Beschaffenheit dieser Lebensgemeinschaften ist der wesentliche Maßstab
für die Bewertung des ökologischen Zustandes eines Fließgewässers. Es ist
somit wichtig, die Lebensbedingungen der Biozönosen, insbesondere aber die
Biozönosen selbst, möglichst genau zu beschreiben.
Im Zuge der bis zum Ende des Jahres 2004 abzuschließenden Bestandsaufnahme sind die Wasserkörper in den Fließgewässern daher zu typisieren, d. h. die Wasserkörper sind einem Fließgewässertyp, der die spezifischen Lebensbedingungen der Biozönosen charakterisiert und sich durch eine spezifische Biozönose auszeichnet, zuzuordnen. Dabei beschreibt der Fließgewässertyp den natürlichen Zustand des Wasserkörpers, d. h. in den Begriffen der Wasserrahmenrichtlinie: den sehr guten Zustand, den man dem Naturraum gemäß antreffen müsste, hat der Mensch in den Wasserkörper nicht eingegriffen. Der tatsächliche Zustand des Wasserkörpers wird von diesem natürlichen Zustand oft abweichen.
Die Wasserrahmenrichtlinie gibt zwei Verfahren zur Typisierung, die „Systeme“ A und B, vor. Nach System A sollen sich Fließgewässerkörper innerhalb der „Ökoregion“, in der sie liegen – Mecklenburg-Vorpommern gehört zum „zentralen Flachland“ Europas –, typisieren lassen nach ihrer Höhenlage, der Größe des Einzugsgebietes des Fließgewässers, zu dem sie gehören, und der Geologie des Naturraumes, in dem sie sich befinden. Bei System B sind als Unterscheidungsmerkmale wie auch bei System A verpflichtend heranzuziehen die Höhenlage und die Geologie, darüber hinaus die geographische Länge und Breite und die Größe des Fließgewässers. Ferner können wahlweise Merkmale wie die Strömungsenergie, die Durchflussmenge, die Form des Tales, in dem das Gewässer fließt, die Zusammensetzung des Gewässersubstrates oder auch klimatische Größen wie Lufttemperatur und Niederschlag in die Typisierung Eingang finden. In Deutschland wird für die Typisierung weitgehend das System B angewandt, das einen umfassenderen Satz von Unterscheidungsmerkmalen beinhaltet als das System A. Dabei übernimmt die deutsche Typologie zwei Unterscheidungsmerkmale des Systems A: die Ökoregion und die Einzugsgebietsgröße.
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Um für Deutschland ein sinnvollerweise einheitliches
Vorgehen bei der Typisierung sicherzustellen, ließen die Bundesländer die
Fließgewässertypen für ganz Deutschland über die Länderarbeitsgemeinschaft
Wasser (LAWA) herleiten. In Anlehnung an System A und seine
Einzugsgebietsuntergrenze von 10 km² hat die deutsche Typologie ebenfalls
Geltung für Wasserkörper in Fließgewässern mit Einzugsgebieten von
mindestens 10 km². Jeder der entwickelten LAWA-Typen ist in einem
„Steckbrief“ beschrieben.
Die LAWA-Fließgewässertypen bilden die Grundlage für die Ausweisung der Fließgewässertypen in Mecklenburg-Vorpommern. Da sie für ganz Deutschland und damit in einem relativ groben Maßstab entwickelt wurden, können sie die kleinräumigen Wechsel unterschiedlicher Typen im Gewässerlängsverlauf, wie sie die vielgestaltigen Fließgewässersysteme der Jungmoränenlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns zeigen, nicht hinreichend genau widerspiegeln. Die Typzuordnung wird aber Einfluss auf das Bewertungsergebnis der Wasserkörper haben, und so erwies es sich als notwendig, eine detailliertere Darstellung der Fließgewässertypen Mecklenburg-Vorpommerns zu erarbeiten, um auf Arbeitsebene die Typabfolge mit hinreichender Genauigkeit (Maßstab 1:25.000) differenzieren zu können. Weiterhin war es erforderlich, die in Mecklenburg-Vorpommern bereits existierenden Typologieansätze mit der LAWA-Typologie abzugleichen und an sie anzupassen.
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Fließgewässer-typologie der LAWA | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nachdem Mecklenburg-Vorpommern in den 90er Jahren des
vorigen Jahrhunderts die chemische Wasserqualität der Fließgewässer durch
Bau und Erweiterung zahlreicher Kläranlagen erheblich verbessert hatte,
wuchs der integrativen, ökologischen Bewertung von Fließgewässern, die über
die chemische Wassergüte hinaus z. B. auch die struktuelle Beschaffenheit
des Gewässers betrachtet, größere Bedeutung zu. Eine wichtiger Baustein dazu
war die landesweite Fließgewässerstrukturgütekartierung, bei der die
Fließgewässer vorwiegend nach geomorphologischen Gesichtspunkten
differenziert wurden. Die mecklenburg-vorpommersche
Fließgewässerstrukturgütekartierung unterscheidet als Fließgewässertypen
die vier Grundtypen Kerbtalbach/-fluss (Typ A), Grundmoränenbach/-fluss (Typ
B), Niederungsbach/-fluss (Typ C) und Sandbach/-fluss (Typ D). Hinzu kommen
Überprägungen dieser Grundformen durch Seeneinfluss (seengeprägte
Abschnitte) und natürlichen Rückstau vor Einmündung in größere Gewässer oder
in die Ostsee.
Für eine ökologisch ausgerichtete Gewässerbewertung reicht jedoch die Strukturgüte als alleiniges Kriterium nicht aus, weil auch bei guter Strukturgüte durchaus andere Belastungen des Fließgewässers vorliegen können, die den Zustand der Lebensgemeinschaften beeinträchtigen, ohne dass dies die Strukturgüte erfassen kann. Es waren daher Typologien und Verfahren notwendig, die die Zusammensetzung der Biozönosen und die indikativen Eigenschaften der Organismen stärker berücksichtigen.
Für Mecklenburg-Vorpommern wurde eine sehr differenzierte Typologie entwickelt, die sowohl auf hydrogeographischen, geographisch-geologischen als auch biozönotischen Grundlagen basiert und neben zahlreichen Fließgewässertypen auch den Talraum typologisch erfasst. Darüber hinaus wurde bereits 1995 in Mecklenburg-Vorpommern mit der Entwicklung eines bioindikativen Bewertungsverfahrens, dem Standorttypieindex, begonnen. Der Standorttypieindex ermöglicht die typspezifische Bewertung eines Fließgewässerabschnitts und seines Talraums anhand der Indikatorgruppen Köcherfliegen (Trichopteren), Wasser- und Uferpflanzen (Makrophyten) und Schmetterlinge (Lepidopteren; Indikator für den Zustand des Talraums). Entsprechend dem damaligen Kenntnisstand konnte die Entwicklung des Verfahrens nur über einen deduktiven Ansatz erfolgen, d. h. ausgehend von der Gesamtheit der bekannten Fließgewässerausprägungen wurden unter pragmatischen Gesichtspunkten Typengruppen, die sogenannten aggregierten Fließgewässertypen, abgeleitet. Darauf bezogen wurden fünfstufige Klassifikationsskalen für die ökologische Gewässerbewertung erstellt und geeicht. In der nachstehenden Tabelle sind die aggregierten Fließgewässertypen des Standorttypieindexes mit ihren Klassifikationsskalen aufgeführt.
Die auf diese Weise abgeleiteten aggregierten Fließgewässertypen waren, soweit Bewertungsskalen vorlagen, in den letzten Jahren die Grundlage für die typspezifische Bewertung der ökologischen Fließgewässergüte Mecklenburg-Vorpommerns, die die allein auf dem Saprobienindex basierende Bewertung der biologischen Gewässergüte ergänzte. Darüber hinaus erscheint der Standorttypieindex auf Grund seiner Typspezifität, der Betrachtung von Gewässerfauna und Gewässerflora (STI-Trichopteren, STI-Makrophyten) und der fünfstufigen Bewertung als ein durchaus vielversprechendes Instrument zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Typologie des Standorttypieindexes steht nunmehr jedoch der Entwurf einer gemeinsam mit anderen Bundesländern entwickelten deutschlandweiten LAWA-Fließgewässertypologie auf Basis der Gewässerfauna (Makrozoobenthos) gegenüber. Für die LAWA-Typen werden gegenwärtig Referenzzönosen und Bewertungsverfahren erarbeitet, die deutschlandweit Anwendung finden sollen und neben der Organismengruppe der Köcherfliegen auch andere Taxa berücksichtigen (z. B. Eintagsfliegen, Steinfliegen, Käfer). Daher wurde die Typenkulisse der aggregierten Fließgewässertypen Mecklenburg-Vorpommerns noch einmal überprüft, wobei anders als bei der Verfahrensentwicklung zum Standorttypieindex jetzt auf einen beträchtlichen Satz biozönotischer Daten zu Köcherfliegen und anderen Makrozoobenthosorganismen zurückgegriffen werden konnte. Auf diese Weise wurde die Fließgewässertypologie Mecklenburg-Vorpommerns auch biozönotisch untersetzt, und es konnten Angaben zur Zusammensetzung der typspezifischen Referenzzönosen bzw. Charakterartenvergesellschaftungen abgeleitet werden. Diese Arbeiten waren erforderlich, um die Anwendbarkeit der LAWA-Typologie auf die Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern zu überprüfen, da die richtige Typzuordnung die spätere Bewertung und damit die ggf. zu treffenden Maßnahmen wesentlich beeinflusst. Ergebnis sind die aus den aggregierten Typen des Standorttypieindexes abgeleiteten sogenannten WRRL-relevanten Fließgewässertypen Mecklenburg-Vorpommerns. Mit den WRRL-relevanten Fließgewässertypen lässt sich ein unmittelbarer Bezug einerseits zu den Typen der Fließgewässerstrukturgütekartierung und andererseits zu den Typen der LAWA herstellen, wie in der folgenden Tabelle gezeigt:
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Fließgewässer-typologie Mecklenburg-Vorpommerns | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
In Anlehnung an die Steckbriefe der LAWA-Typen wurden
Steckbriefe![]()
Die Steckbriefe beschreiben die relevanten Merkmale der in Mecklenburg-Vorpommern vorkommenden LAWA-Typen. Bilder von typischen Fließgewässerausprägungen und die Nennung von dazugehörigen Fließstrecken dienen der Illustration der Verhältnisse. Kennzeichnende Elemente der Charakterartenvergesellschaftungen (lebensraumpräferierende Arten) werden sowohl für die Makrophyten als auch für das Makrozoobenthos in aggregierter Form aufgeführt. Zur Wahrung der fachlichen Exaktheit sind dabei die biozönotischen Fließgewässerausprägungen als Basis genommen worden. Es wird auf die oben genannten vorhandenen Klassifikationsskalen für die ökologische Bewertung hingewiesen.
Die Aussagen zur Makrozoobenthos- und Makrophyten- bzw. Phytobenthosgemeinschaft in den Steckbriefen beruhen auf statistischen Auswertungen des Arteninventars naturnaher Fließgewässerabschnitte Mecklenburg-Vorpommerns. Sie ermöglichten die Abgliederung biozönotisch relevanter Charakteristika der jeweiligen Ausprägungen und den dazugehörigen Vergesellschaftungen. Die Charakterartenvergesellschaftung eines biozönotischen Typs setzt sich aus drei Gruppen zusammen:
In den Steckbriefen der WRRL-relevanten Fließgewässertypen Mecklenburg-Vorpommern sind aus Platzgründen nur die lebensraumpräferierenden Arten aufgeführt.
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Steckbriefe der Fließ-gewässertypen Mecklenburg-Vorpommerns | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Für das WRRL-relevante Fließgewässernetz
Mecklenburg-Vorpommerns war eine Überarbeitung der durch die LAWA
entwickelten Fließgewässertypen in inhaltlicher und räumlich-konkreter
Hinsicht geboten. Wesentliches Kriterium war die Berücksichtigung der im
Bundesland auftretenden realen landschafts- und gewässerökologischen
Konstellationen, mithin eine regionalspezifische Detaillierung und
Konkretisierung. Die Arbeiten stützten sich vor allem auf vorhandene und
sachgerecht auswertbare geowissenschaftliche Daten und Informationen. Zudem
wurden die vorliegenden Ergebnisse der im Zusammenhang mit der
Standorttypieindex-Bestimmung getroffenen Typzuordnungen in
Mecklenburg-Vorpommern sowie die Regionalkenntnisse der am Vorhaben
Beteiligten genutzt. Ausgewertet wurden die bodengeologischen Verhältnisse
des Landschaftsraumes, das Gefälle des Talbodens, die Auswirkungen des
Ostseerückstaus auf der Basis topographischer Karten, die wahrscheinlichen
Auswirkungen von Seen auf nachfolgende Fließstrecken auf der Basis der
Referenztrophie der Seen sowie der physikalischen Bedingungen der
betroffenen Fließstrecken und die Einzugsgebietsstruktur der Flussgebiete.
Die Ergebnisse zeigen zum Teil erhebliche Unterschiede zur von der LAWA erarbeiteten Typenkarte für das Land Mecklenburg-Vorpommern. Neben dem methodisch erweiterten Ansatz ist es vor allem die differenziertere Datengrundlage, die zu Unterschieden führt (Basis 1:25.000 statt 1:100.000). So sind auf der vergleichsweise groben geologischen Kartengrundlage der LAWA-Arbeiten viele schmale gewässerbegleitende Niedermoore, die wiederum auf der Maßstabsebene der geologischen Karten Mecklenburg-Vorpommerns konkret ausgewiesen sind, der stärkeren Generalisierung anheim gefallen. Unterschiede in den gewässerstreckenbezogenen Angaben ergeben sich auch aus den unterschiedlichen digitalen Fließgewässernetzen.
Die folgende Karte „Fließgewässertypen
im WRRL-relevanten Fließgewässernetz Mecklenburg-Vorpommerns“
Das Balkendiagramm fasst die Verteilung der LAWA-Typen auf das WRRL-relevante Fließgewässernetz graphisch zusammen:
Der dominierende LAWA-Typ ist der Typ 11 „organisch geprägter Bach“ mit mehr als 30 % Anteil am WRRL-relevanten Fließgewässernetz Mecklenburg-Vorpommerns, gefolgt vom Typ 14 „sandgeprägter Tieflandbach“ mit 26 % und dem Typ 16 „kiesgeprägter Bach“ mit fast 20 %. In Mecklenburg-Vorpommern vorherrschend ist das organisch geprägte Gewässer (Typ 11 und 12) mit insgesamt 45 % Anteil an der WRRL-relevanten Fließgewässerstrecke. Nimmt man den oft ebenfalls organisch geprägten Typ 23 (rückstau- bzw. brackwasserbeeinflusste Ostseezuflüsse) hinzu, wird ein Anteil von rund 50 % erreicht. Dieser hohe Anteil organisch geprägter Gewässer ist darauf zurückzuführen, dass fast 50 % der WRRL-relevanten Fließgewässer durch Täler mit ≤ 1 ‰ Längsgefälle fließen. Die gefällearmen und oft vermoorten Talniederungen sind daher in Mecklenburg-Vorpommern von großer Bedeutung. Deutlich wird auch, dass in Mecklenburg-Vorpommern vor allem kleine Fließgewässer zu finden sind: der Anteil der Bäche (Einzugsgebiet von 10 bis 100 km² nach LAWA-Typologie) beträgt 80 %, der Anteil der kleinen Flüsse (Einzugsgebiet von 100 bis 1.000 km²) 13 %. Als große Flüsse (Einzugsgebiet von 1.000 bis 10.000 km²) sind in Mecklenburg-Vorpommern nur Teilstrecken der Elde, der Warnow, der Peene, der Tollense und der Uecker anzusprechen. Ströme (Einzugsgebiet von mehr als 10.000 km²) sind mit Ausnahme des kleinen Anteils an der Elbe in Mecklenburg-Vorpommern nicht zu finden.
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Karte der Fließgewässer-typen Mecklenburg-Vorpommerns |
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